Jeder Beruf hat wahrscheinlich seine Typischen Anfängerfehler: Die Bäckergesellin lässt sicher mal ein Brot anbrennen, der Bürokaufmann vergisst, einen wichtigen Termin einzutragen und wahrscheinlich hat auch schon mal ein Jungpilot einen Flug verschlafen. Aber wer 6 Jahre Medizinstudium hinter sich hat, möchte nicht mehr als Anfänger* behandelt werden. Das kann dazu führen, dass man gerade besonders viele Fehler macht. Hier ein paar typische Anfängerfehler, die man dringend vermeiden sollte:
1. Sich nicht vorstellen
Das Medizinstudium war eigentlich die Idee von Mami und Papi und Du wolltest eigentlich etwas ganz anderes machen? Kein Problem, aus der Nummer kommst Du raus: Vermeide einfach, Dich am ersten Arbeitstag jeder und jedem vorzustellen. Wenn Du so an die Sache ran gehst, wirst Du mit Sicherheit nie wieder ein Bein auf die Erde bekommen und kannst Dir einen neuen Job suchen.
Und mit „jeder und jedem“ meine ich wirklich jede und jeden! Du kannst Dich getrost dreimal bei allen vorstellen, die Dir in den ersten Wochen über den Weg laufen. Wenn eine Krankenschwester oder ein Chefarzt aus dem Urlaub kommt und Du glaubst, nach drei Wochen des Vorstellens sei jetzt mal gut, dann bist Du durch bis in die sechste Generation von Kindeskindern, wenn Du nicht merkst, dass da jemand vor Dir steht, der Dich nicht kennt!
Das bedeutet übrigens nicht, dass sich die anderen auch bei Dir vorstellen werden. Es kann sein, dass Dich jemand rausschmeißt und nie erfährst, wer das eigentlich war…
2. Keinen Ratschlag von Schwestern annehmen
Leider zu typisch: Der erste Nachtdient und man glaubt, man müsse alle Entscheidungen selber treffen. Im Zustand des absolut überfordert seins merkt man nicht, dass es Menschen um einen herum gibt, die einem helfen wollen: Erfahrene Pfleger und Schwestern. Die können einem den Arsch retten und die können einen am ausgestreckten Arm verhungern lassen. Du vergibst Dir nichts, wenn Du zugibst, dass Du gerade keinen Plan hast. Daraus können Bündnisse entstehen, die ein Arbeitsleben lang halten. Und irgendwann kannst Du Dich revanchieren.
3. Der Glauben, man müssen eine Entscheidung treffen
Auch das ist typisch: In dem Glauben, man trage die alleinige Verantwortung, werden Entscheidungen erzwungen. Ein CT mitten in der Nacht zum Beispiel, nur weil man die diffusen Bauchschmerzen, die am besten noch seit drei Wochen bestehen, nicht richtig einordnen kann. Oder das chirurgische Konsil morgens um 5, um nach einem Sturz den zufällig festgestellten Leistenbruch untersuchen zu lassen. Manchmal reicht es, den Patienten ins Bett zu legen und bis zum nächsten Morgen abzuwarten. Dann hat man selber auch mehr Ruhe in der Nacht.
4. Den Patienten zu viel erzählen
Es ist richtig, dass Patienten ein Recht darauf haben, Informiert zu sein. Aber nicht alle Informationen sind hilfreich. Es ist nicht notwendig, bei einer Aufklärung über eine Appendektomie die Möglichkeit eines Appendixkarzinoms mit der Konversion in eine Hemikolektomie, die Anlage eines Stomas, die Implantation eines Portsystems und eine Chemotherapie aufzuklären. Hier hilft zum Beispiel die Formulierung „Vorgehen nach Befund“. Auch muss nachdem ein Polyp im Darm abgetragen wurde nicht gleich das ganze Spektrum der möglichen Diagnosen und damit verbundenen Behandlungen runter gerattert werden. In der Erinnerung der Patienten wird es sonst später nur heißen: „Da war so ein Jungarzt, der wollte mir einen künstlichen Darmausgang anlegen und dabei hatte ich nur einen Polypen!“.
5. Nicht zuhören
Zuhören ist wichtig! Nicht nur den Patienten, auch den Kollegen. Und den Pflegekräften. Und dem Hausmeister. Allen! Erst mal checken, wie der Hase läuft. Irgendwann wirst Du mitbekommen, wie die Stimmungen verteilt sind. Wenn man anfängt irgendwo zu arbeiten, gibt es schnell jemanden, der einem erklärt, was alles schief läuft in dem Laden. Diejenigen, die das anders sehen, halten sich normalerweise erst mal zurück. Und dann kann es passieren, dass man sich in jugendlichem Elan mitreißen lässt, auf die Barrikaden stürmt und ganz oben plötzlich feststellt, dass man ganz alleine da steht. Und der Geschäftsführer einen plötzlich mit Namen anspricht…
6. Nicht eingestehen, dass man keine Ahnung hat
Es ist nicht notwendig, den Patienten gegenüber den Eindruck erwecken zu wollen, man hätte auf alles eine Antwort. Es kann sogar sehr erleichternd sein, zu sagen „Ich habe keine Ahnung!“. Man kann auch die Visite verweisen oder sagen, dass man mit dem Facharzt / Oberarzt oder Chef spricht und dann noch einmal zurückkommt. Viel Schlimmer ist es, eine Ahnung vorzutäuschen und dann vor versammelter Mannschaft bewiesen zu bekommen, dass man genau das eben nicht hat.
7. Sich nicht um sich selber kümmern
„Gönn‘ Dir ’ne Pause!“ Das Motto, dass wahrscheinlich aus einer Werbung stammt, ist eine der Grundregeln des Anfängers. „Iss, wenn Du essen kannst, schlaf‘ wenn Du schlafen kannst und fass‘ das Pankreas nicht an!„. Die drei wichtigsten Grundregeln in der Chirurgie. Zwei davon gelten auch für andere Fachrichtungen. Eigentlich gelten alle drei für alle Fachrichtungen!
8. Freunde und Familie vernachlässigen
Endlich Arzt, endlich einen richtigen Job, endlich die Karriere starten! Man ist ja schon 26 Jahre alt und hat schon sooo viel Zeit verloren. Länger bleiben um noch Arztbriefe zu schreiben, von Patienten die vielleicht in der nächsten Woche entlassen werden könnten oder früher kommen und schon mal eine Vorvisite durchführen. All das ist geeignet, zu einem Arbeitseremiten zu werden. Freunde, die sich daran gewöhnt haben, dass man nicht mehr zum Stammtisch, zur Pokerrunde oder zum Brunch kommt, sind schwer wieder einzufangen. Und man selber gewöhnt sich auch daran. Irgendwann haben diese Freunde eigene Jobs und Familien und dann hat man bereits den Anschluss verloren und bekommt den auch nicht wieder!
9. Nicht merken, dass man in der falschen Fachrichtung ist
Auch hier spielt der Gedanke eine Rolle, dass man schon sooo viel Zeit mit dem Studium verbracht hat, dass jetzt der Turbo eingeschaltet werden muss. Ein einmal eingeschlagener Weg wird auf Wohl und Wehe beibehalten. Wenn man aber anfängt zu merken, dass man immer weniger gerne zur Arbeit geht, der Nadelhalter immer noch ein Mysterium ist und das Blutbild keinen Sinn zu machen scheint, dann darf auch gerne mal alles in Frage gestellt werden. In den meisten Fällen, lässt sich eine gewisse Zeit in einem Fachbereich auf eine ganz andere Facharztweiterbildung anrechnen. Und wenn dann doch ein oder zwei Jahre verloren gehen? So what?? Du musst es noch mindestens 30 weitere Jahre in diesem Job aushalten. Und das ist nicht machbar, wenn es die falsche Fachrichtung ist!
10. Nicht merken, dass man den falschen Beruf gewählt hat.
Hier gilt das oben gesagte genauso. Ich habe eine Bekannte, die hat ein super Abi gemacht, hat dann – auf Wunsch der Eltern – Medizin studiert, hat promoviert, ist Fachärztin für Chirurgie geworden und als man ihr eine Stelle als Oberärztin angeboten hat, hat sie gekündigt. Sie hat dann eine Schule besucht und ist Fremdsprachenkorrespondentin geworden. Ja, wenn man gemein ist, könnte man sagen, sie ist Sekretärin geworden. Aber sie ist glücklich! Und dass sie einen Doktortitel hat, hat sie keinem erzählt.
*Es sind stets Personen männlichen und weiblichen Geschlechts gleichermaßen gemeint; weil ich Arzt (männlich) bin und aus Gründen der einfacheren Lesbarkeit wird nur die kürzere Form verwendet.